Freitag, 26. September 2014

Ein Mythos aus Frankfurt

Wir schreiben den 25.11.78 und im Westend ist eine Solidaritätsdemo der CISNU mit der Revolution im Iran, etwas aus dem Ruder gelaufen. Da wollten einige Iraner die US Botschaft stürmen und die Polizei stand im Weg. Nachdem die Kreuzung mit Steinen bedeckt war, verlagerte sich das Geschehen mit steinigen Zwischenhalt Uni in Richtung Messe. 
Ich steh grad gegenüber an der Straße, neben mir klirren Scheiben und gegenüber auf der Hamburger Allee rennt ein Haufen Demoleut auf die Polizei zu und die Polizei flüchtet geschlossen. Dann stoppt alles, der Polizeihaufen rennt vor und die Demoleut rennen einige Meter hoch, sind sie ja gewohnt und normalerweise läuft das Spiel auch so ab. Diesmal nicht, wieder stoppen sie und rennen auf die Polizei zu, die flüchtet wieder kollektiv, das sind sie nicht gerade gewohnt. Dann stürmt der Polizeihaufen wieder vor und beendet das Spielchen. 
Subjektiv gesehen hat das keine Minute gedauert und ich seh mir das aus 50 Meter Entfernung an. Als ich es auf die Straßenseite geschafft hatte, konnte ich grad noch mitrennen und mich mit weiteren ins Haus Hamburger Alle verziehen. Vom Fenster sahen wir den Rest zu und einige machten ihrer Wut lautstark Luft.  Diese Aktion lief nachdem die Schlacht eigentlich schon vorbei war, heute würde man es als Aftershow bezeichnen.
Danach fang ich an der Uni an Bretter auf die Straße zu legen, irgendwer muß ja anfangen und schon sind weiter mit dabei und fix haben wir die Straße blockiert. Dieser persönliche Beitrag fand freilich keine Erwähnung in irgendeiner Heldensaga. Ist auch nicht so wichtig, wer was angestellt hat. Worum geht’s dann?
Diese knappe Minute, in der Polizei mal von hinten zu sehen war, wurde weiterverbreitet und einige Zeilen fanden Eingang in diverse Medien, auch in linken Medien, wie etwa s Asta Info. Doch damit war s noch nicht genug. Die Story wurde rumerzählt und weitererzählt, vermutlich von noch mehr weitererzählt, die gar nicht dabei waren und irgendwann entstand einer der Mythen Frankfurts. Noch nach 25 Jahren war es nicht durch und die Geschichte wurde Internettauglich, als irgendwer darüber in einen Portal einige Zeilen loswerden mußte. Etwa in der Art, ey damals da rannten die Bullen…….! Na schau an. Nun, Fotos davon hab ich nicht. Hatte mich bereits vorher verschossen und hatte auch nur einen Film. Woher hätt ich wissen können, daß ich durchaus noch einen Ersatzfilm brauchen könnte? War ja nicht so wie heute, 800 Pics passen in den Speicher, da ist eher die Batterie leer.
So entstehen Mythen und Geschichten an die sich die Beteiligten noch erinnern, selbst wenn sie mittlerweile grau wurden, mit dem Staat ihren Kompromiss gemacht haben, nach Ansicht sauertöpfiger Dogmatiker die Arbeiterklasse verraten haben und eh nur kleinbürgerliche Studenten waren. Egal, es bleibt ein Fixpunkt im Leben. Allen Mythengerede zum Trotz, einige können sagen, ich war dabei und weiß wie es wirklich ablief. Was immer aus den Beteiligten wurde, es waren Menschen und keine mythologischen Heldengestalten. Das bedeutet, sie gingen nicht alle in den Untergrund und wurden Stammheimmärtyrer. Sie wurden Lehrer, Werbefuzzis, Arbeitslose, Alkis oder Sozialhilfeempfänger. Halt die ganze Palette an Lebenswegen. Nicht sehr spektakulär, nicht allzu heroisch, halt einfach menschlich.
Persönlich gesehen könnte ich noch anmerken, daß die Demo noch zu Auseinandersetzungen im Verein führte. Ich war nicht der einzige der nicht mehr bereit war alles zu akzeptieren. Nur weil unser Verein sich erst mal zurückziehen wollte und nur sauer war, weil wir in der Demo nur ein kleiner Block unter vielen waren, waren wir nicht bereit alles mies zumachen. Schließlich waren wir dabei gewesen und hatten aktiv mitgemischt, im Gegensatz zu den Genossen die den Rückzug antraten. Dieser offen Widerstand gegen die Einschätzungen führender Genossen zeigte die Veränderungen im Verein an und das die Tage als Dogmatikersekte offensichtlich gezählt waren. Die Auflösung folgte dann auch in zwei Jahren.
PS: Und was wurde aus den Arbeitern, von denen uns einige vom Straßenrand anpöbelten? Die sind in Rente, oder unter der Erde. Ihre Betriebe sind längst geschlossen, abgerissen und spurlos verschwunden oder rotten als Lost Place vor sich hin. Also wir waren s nicht und der Glasbruch den wir angerichtet haben, konnte kaum mit der Zerstörungswut der Hydraulikbagger mithalten. Not we destroyed your world, it was you.

Siehe auch:
Zeitgeschichte in Hessen